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Es war einmal: Was Marketing mit Märchen zu tun hat

Alles über Storytelling: was Marketing mit Märchen zu tun hat.
Fotografiert von Ben White, Michigan, USA. Credits: unsplash.com

Lesedauer: 4 Minuten

Thema: Storytelling

Autorin: Sabine Stoll

 

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Auf dem Werbeplakat und der Unternehmenswebsite möchtet ihr bestimmt keine Märchen erzählen. Trotzdem: diese Erzählform ist der beste Massstab für jeden Text. Und am Ende dieses Beitrags gibt es sogar noch ganz einmalige Tipps, wie ihr euch am besten für euer Storytelling inspirieren könnt.

Der Mensch ist ein erzählendes Wesen. Und das Erzählen eine anthropologische Universalie. Und damit etwas so Grundlegendes, das ihr damit alle Menschen ansprechen könnt, unabhängig von Alter, Milieu und kulturellem Hintergrund. Mit dem Erzählen erforschen und entdecken wir die Welt, in der wir leben, und erleben uns gleichzeitig als soziale und in eine Gemeinschaft eingebettete Wesen. 

Erzählen, eine alte Kulturtechnik

Soweit die Wissenschaft das herausgefunden hat, ist die Erzählung eine Kulturtechnik, die bereits verwendet wurde, als wir noch gejagt und gesammelt haben. Erzählen hilft dabei, einen Sachverhalt besser zu verstehen, reichert diesen an mit Kontext und Gehalt. Was also können wir von der guten alten Märchenerzählerin lernen?

 

Die Erzählform gehört sicherlich zu den älteren, wenn nicht sogar ältesten Kulturtechniken und hat weiteren sozio-kulturellen Entwicklungen wie Dichtung, Philosophie und Theater Vorschub geleistet. Und wenn wir Marketingtexte auch als eine Form der Dichtung begreifen, sind wir auch schon mitten im Thema. Okay, Scherz beiseite. 

Digital Age meets Fairytales

Der echte Mensch ist uns ein bisschen abhanden gekommen, findet Kristin Wardetzky. Die Trägerin des Deutschen Bundesverdienstkreuzes ist Märchen- und Erzählforscherin und war unter anderem an der Universität der Künste in Berlin tätig. Sie denkt, dass es im digitalen Zeitalter nicht mehr selbst verständlich ist, dass wir immer echten Menschen gegenübersitzen. In Zeiten von Pandemie, Quarantäne, Ausgangssperre und Home Office sowieso. 

Hindert uns die Digitalisierung daran, gute Geschichten zu erzählen?
Märchenerzähler*innen erfahren Feedback ganz unmittelbar. Im digitalen Kontext kann auch Social Media das leisten. (Bild: Fotografiert von Cederic Vandenberghe, Wirschem, Deutschland. Credits: unsplash.com)

Hindert uns die Digitalisierung also daran, wirklich gute Geschichten zu erzählen? Kristin Wardetzky sagt, dass nichts schonungsloser ist für einen Text als der mündliche Vortrag. Denn hier zeigen sich Erfolg und Wirkung ganz unmittelbar. Dieses Manko können wir im digitalen Zeitalter durchaus durch kompensieren, zumindest teilweise. Das Social Web zeigt uns die Live-Reaktionen der Follower*innen durch Kommentare, Likes und andere Möglichkeiten, die Social-Media-Plattformen bereitstellen. Und damit auch authentisches Feedback, das sogar schonungsloser sein kann als die sozial kontrollierte Reaktion des Publikums bei einem Vortrag oder während eines Theaterstücks.

Es war einmal ein Werbespot

Verpacken wir Inhalte in Erzählungen, können wir diese besser aufnehmen, verarbeiten und verstehen. Im Marketing ist dieses Storytelling zwar mittlerweile eine Binsenweisheit, wird aber trotzdem nicht konsequent genutzt. Dabei sollen Kommunikations- und Werbemittel keine klassischen Geschichten erzählen, sondern einfach die richtige Botschaft vermitteln. 

 

Im Bereich der Werbung – wie auch beim Lernen übrigens – ist das Kernziel ja nicht, eine Geschichte um ihrer selbst Willen zu erzählen. Sondern die Erzählform zu nutzen, um Informationen einfacher miteinander zu verbinden. Assoziationen zu schaffen. Die Merkbarkeit zu erhöhen. Ein Merkmal von Erzählungen ist der rote Faden, der zwar noch keine Erzählung macht, aber dabei hilft, einzelne Informationsstücke zu einer runden Sache zu machen.

 

Werbespots erzählen oft eine Geschichte, verknüpfen aber das Kaufargument nicht zwangsläufig mit dieser Erzählung. Damit ist die Gefahr gross, bei den Rezipient*innen nicht die gewünschten Assoziationen auszulösen und so die Chance zu verpassen, zum Kauf anzuregen. Das Gleiche gilt für Landing Pages, Plakate oder Bannerwerbung.

Du, ich, wir: Erzählen ist Dialog

Nicht erst seit gestern ist uns klar, dass Werbung und Kommunikation nicht einseitig sein dürfen. Der Austausch mit der Zielgruppe ist kein lästiges Übel, sondern gehört dazu. Auch das Erzählen ist in seinem Ursprung ein sozialer Anlass, ein Dialog. Die Märchenstunde lebt von der Reaktion der gespannten Kinder. Es geht um Verständigung, Mimik, Gestik und damit um alle uns zur Verfügung stehenden Ebenen der Kommunikation.

Per Social Web kann ein Werbespot auch zu einer Märchenstunde werden.
Ein Werbespot kann zu einer Märchenstunde werden. (Bild: Fotografiert von Daniel Kempe. Credits: unsplash.com)

In der Werbung sind wir hier eingeschränkt. Ein Werbespot ist keine Märchenstunde. Oder doch? Ich kann dafür sorgen, dass meine Inhalte und Botschaften geteilt werden, für Diskussionen und Austausch sorgen, Emotionen und Reaktionen hervorrufen. Per Social Web geht das vielleicht am besten, funktioniert aber auch über andere Kanäle. Bilder, Bewegung, Illustrationen, Animationen oder Emojis eigenen sich, um die fehlende Ebene zu ersetzen. Das Feedback erhalte ich dann vielleicht nicht unmittelbar, aber doch sehr schnell, denn die Inhalte auf sozialen Plattformen sind schnelllebig.

Storytelling als Storytelling

Ich kann aber auch einfach ganz klassisch eine Geschichte erzählen, statt meine Botschaften plump abzufeuern. Mitarbeitende, Fans oder die Zielgruppe selbst zu Wort kommen lassen. Die Gründerin oder deren Wegbegleiter erzählen lassen. Nicht als Märchen, sondern in Formaten wie Dokus, Vorträgen oder Augenzeugenberichten. Längst haben Anbieter wie Amazon Prime oder Netflix herausgefunden, dass eben nicht nur klassische Hollywoodstreifen gut funktionieren, sondern authentischere Formate ebenfalls beliebt sind.

 

Wichtig ist in jedem Fall, die erfolgsbewährte Erzählform nicht zu vergessen: Problem, Steigerung, Komplikation, Auflösung, Schluss. Jede gute Geschichte funktioniert nach genau diesem simplen Schema. Egal, ob Comedy oder Tragödie. 

So inspirierst du dich für gutes Storytelling

Klar, es ist nicht immer einfach, die passenden Geschichte zu finden. Deshalb empfehle ich, dass ihr euch Inspiration dort holt, wo die guten Stories erzählt werden.

  • Schau dir einen Märchenfilm an, zieh dir ein Hörbuch rein oder besorg dir ein richtig schönes Märchenbuch. In Märchen kannst du sehr einfache Geschichten lesen, die dafür umso besser funktionieren. Der böse Wolf frisst die herzigen kleinen Geisslein, die schöne Arme heiratet den Prinzen. Es gibt Schwarz und Weiss, Gut und Böse. Märchen sind einfache Alternativen zu unserer eigentlich extrem komplexen Welt.
  • Geh in eine Bibliothek deiner Wahl. Im Real Life, also nicht digital. Streife durch die Regale, freu dich über spannende Zufallsfunde und schmökere in einem bequemen Sessel in einem Buch. Lass dich von den Geschichten finden, die dort auf dich warten.
  • Besuche eine Theateraufführung. Keinen Film. Filme setzen oft auch zu einem grossen Teil auf Effekte, Sound und andere ästhetische Aspekte. Im Theater kannst du bequem zuschauen, wie sich eine Geschichte vor deinen Augen entwickelt und du diese auch im Blick behalten kannst. Denn bei den meisten Theaterstücken steht das gesprochene Wort im Zentrum.
  • Und wenn dir das noch nicht reicht: versuche, deine eigene kleine Geschichte zu schreiben. Dabei kannst du eine interessante Begebenheit der letzten Tage oder Wochen verarbeiten oder einfach deinen Alltag in eine kleine Geschichte verpacken.
  • Zuletzt noch ein ganz sicher corona-konformer Tipp: Mach einen gemütlichen Filmabend (am besten mit einem klassischen Hollywood-Film) und achte darauf, was der rote Faden ist und wann welche Elemente der Geschichte vorkommen (Problem, Steigerung, Komplikation, Auflösung, Schluss) und woraus diese jeweils bestehen.

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Es war einmal ein Narrativ

Zu Studienzeiten hatte ich einen Dozenten, der über soziologische Theoretiker*innen referierte. Mir sind witzige Details ebenso geblieben wie die grossen Zusammenhänge – weil beides eine Geschichte ergab. 

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Marken faszinieren und polarisieren, sorgen für hitzige Diskussionen und sind Identifikationsobjekte. Wieso verehren wir einige Marken fast kultisch, während andere nur ein Schattendasein fristen?


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Kommentare: 3
  • #1

    Lara Widgenstein (Sonntag, 07 Februar 2021 22:44)

    Sehr erhellend, danke.
    Hier noch ein guter Artikel zum gleichen Thema: https://blog.socialhub.io/storytelling-social-media-die-macht-der-geschichten/

  • #2

    Lutger W. (Montag, 02 August 2021 22:51)

    Interessant, habe Sie über Twitter gefunden. Werde mich hier mal weiter "durchgraben".

    Mit freundlichen Grüßen, Lutger W.

  • #3

    Susanne P. Müller (Sonntag, 12 September 2021 19:01)

    Danke für die Inspiration am Ende des Artikels, ds war für mich nun tatsächlich einmal etwas ganz Neues!